Chun Teh, der Abt vom Kloster Potnang im Gespräch mit dem jungen Mönch Akunah
»Es ist der Mangel an Dankbarkeit ... das ist ein großes Problem in der Welt ... dankbar für das Leben zu sein. Manche Menschen brauchen erst einen schweren Schicksalsschlag, bis sie dankbar werden ...«, hörte Akunah Chun-Teh sagen.
Sie hatten, besonders in der Zeit, bevor er das Kloster verließ, viel über die Schwierigkeiten in der Welt gesprochen.
»Die Probleme, die wir hier in Tibet haben, mein lieber Akunah ... sind ein Abbild der Probleme, die in der Welt herrschen.«
»Woher kommen überhaupt Probleme ...?«, hatte Akunah einmal gefragt.
»Das ist ein weites Feld ... und ich erforsche es schon lange. Die Schriften geben Auskunft ... und ich bin immer mehr zu dem Schluss gekommen, dass die meisten Schwierigkeiten daher kommen, dass Menschen sich alleine fühlen ... unverstanden ... nicht gewollt. Zum anderen sind Menschen zu hart zueinander. Sie können so schwer vergeben, sich selbst und anderen, und das blockiert ihr Mitgefühl ...«
»Ja, aber ... aber ...«, sagte Akunah und biss in einen Keks, der nach innen immer härter wurde, so dass er ihn in Tee tunkte, um ihn weich zu machen. »Was ist dann das ... DAS Problem hinter allen Problemen ... das Urproblem sozusagen ... gibt es so etwas?«
Chun-Teh freute sich über seinen kleinen Philosophen, wie er ihn oft nannte.
»Nun, ein Beispiel ... nimm als Beispiel den Keks, den du gerade isst. Du dachtest, er ist weich, nicht wahr? Dann plötzlich wird er immer härter, je mehr du auf ihm rumkaust. Was tust du also? Du tunkst ihn in heißen Tee, damit er weich wird und du ihn essen kannst, ohne dir die Zähne auszubeißen. Du könntest dich natürlich auch ärgern, dass ich dir einen harten Keks gegeben habe. Du könntest in den Keks beißen und dir einen Zahn abbrechen, um mir eine Lektion zu erteilen, dass ich dir in Zukunft weichere Kekse geben sollte.«
»Oder ich könnte gleich den Keks hinlegen und ihn nicht essen. Oder ich könnte ihn nur bis dahin essen, wo er weich ist und den Rest liegen lassen ... oder ich tunke ihn in den Tee, dass er weich wird ... ja, stimmt!«, sagte Akunah und schlürfte den Rest des Kekses.
»Richtig ... du hast dir also etwas einfallen lassen. Und dadurch hast du deinen Hunger gestillt. Jetzt kennst du das Hauptproblem, mit dem die Menschen kämpfen, so lange schon ...«
»Was ist das Hauptproblem ... Chun-Teh? Irgendwie krieg’ ich es noch nicht zusammen ...«
»Es ist die Rechthaberei ...« Chun-Teh tunkte einen Keks in seinen Tee. »Rechthaberei ist das Hauptproblem ... du kannst es auch Stolz nennen ... oder Arroganz ... oder Festhalten ... sie führt zu Eingleisigkeit und macht starr ... und das kann zerstören und hat schon so viel zerstört ... Rechthaberei nimmt den Menschen die Freiheit. Sie ist eine Hauptursache der Angst.«
»Ist es auch eine Ursache der Lügen ...?«
»Ja, Angst und Lügen ... sie produzieren sich gegenseitig.«
»Aber dahinter ist doch noch etwas ...!?«
»Ja, das stimmt, dahinter ist noch etwas ... dahinter ist das tiefe schmerzliche Gefühl der Trennung, der Trennung vom Göttlichen ... das Gefühl, nicht wirklich da zu sein ... nicht wirklich wirklich ... ein oft quälendes Gefühl der Unvollständigkeit ....«
»Aber das haben wir doch alle, bis wir den Buddha-Status erreicht haben ...«
»Ja, das stimmt ... die Frage ist, wie wir damit umgehen ... wie wir damit leben, bis es soweit ist. Bleiben wir demütig oder werden wir stolz und überheblich. Es sind immer die beiden: Stolz oder Demut. Du hast täglich die Wahl ...«
»Aber, Chun-Teh, Demut klingt so schwach ... manchmal, als ob ich mich aufgebe ...«
»Nein, Demut - neben Dankbarkeit, Mitgefühl und Weisheit - ist die stärkste Kraft im Menschen. Demut ist wie Wasser ... das machtvollste Element ... Dankbarkeit, Mitgefühl und Weisheit sind Erde, Feuer und Luft. Demut bedeutet, anzuerkennen, dass du ein Mensch unter Menschen bist ... verwundbar ... sich nach Glück sehnend und danach, verstanden zu werden. Nur so kann die Welt heilen, in der die Menschen bis jetzt immer noch aufeinander einschlagen und um etwas kämpfen, was sie schon längst haben ... aber nicht wahrnehmen ... nicht wahrnehmen können, dass sie es haben ... dass es immer um sie herum ist ... dass sie sogar daraus bestehen ...«
»Was ist das, Chun-Teh ...?»
»Du weißt es, Akunah ...«
Der Abt angelte sich einen weiteren Keks.
»Liebe ...?«
»Ja, die Liebe ... die göttliche Liebe ... und nur die Demut lässt diese Liebe erkennen, und nur mit Demut kannst du sie dir erschließen. Dann hast du Teil an den Wundern der Welt - und an den Wundern jenseits der Welt.«
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